Selbstvermarktung für Geisteswissenschaftler – Interview mit Heike Glasmacher

Was ist eigentlich Selbstvermarktung und warum ist sie so wichtig für uns als Geisteswissenschaftler? Zu diesem Thema haben wir Heike Glasmacher interviewt, die sich mit ihrer Firma HitRater schwerpunktmäßig mit Employer Branding beschäftigt. Zuvor war sie jahrelang unter anderem bei Nestlé und Nokia im Marketingbereich beschäftigt.

Welche Hürden hat man als Geisteswissenschaftler?

Heike Glasmacher: Im Bereich des Marketings, in dem ich arbeite, hat man als Geisteswissenschaftler Konkurrenz durch andere Studiengänge wie BWL und hat dadurch auch andere Berufszweige, mit denen man im Wettbewerb steht. Die größte Hürde ist meiner Meinung nach, zu zeigen, welche Vorteile man als Geisteswissenschaftler oder Sozialwissenschaftler im Gegensatz zum Betriebswirten mitbringt. Ich finde, denen wird immer unglaublich viel zugesprochen, was wir in unserem geisteswissenschaftlichen Studium genauso erlernt haben – und was gesellschaftliche, soziale und politische Dinge angeht in meinen Augen sogar ein bisschen mehr.

Haben Sie selbst eine Hürde beim Berufseinstieg erlebt? Hat vielleicht doch eine Qualifikation gefehlt oder haben Sie als Geisteswissenschaftlerin gemerkt, dass Sie gerade doch nicht im richtigen Bereich sind?

Heike Glasmacher: Konkrete Hürden nicht, nein. Im Bewerbungsprozess wird kein Personalleiter sagen: „Ich habe Sie nicht genommen, weil Sie Geisteswissenschaftler oder Sozialwissenschaftler sind.“ Aber natürlich gibt es immer Zuschreibungen zu den einzelnen Studiengängen. Entscheider, die BWL oder Jura studiert haben, schreiben ähnlichen Studiengängen wesentlich mehr zu als zum Beispiel den Sozialwissenschaften. Da kommt es ganz darauf an, mit den individuellen Fähigkeiten zu überzeugen bzw. gegen diese Zuschreibungen anzukommen.

Wie haben Sie Ihren Weg in den Beruf gefunden?

Heike Glasmacher: Mein Lebenslauf ist ein bisschen bunter. Ich hatte in der Oberstufe eher Schwerpunkte im naturwissenschaftlichen Bereich und habe dann Biologie studiert. Das war gar nicht mein Ding. Ich habe dann eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht und schließlich nochmal zwei Jahre Abendstudium ergänzt, weil mich der Beruf der Eurowirtschaftsassistentin interessiert hat. Nebenbei war ich die ganze Zeit berufstätig im Bereich Vertrieb und Sachbearbeitung/Export. Danach dachte ich mir: „Jetzt habe ich BWL gelernt und kann zwei Sprachen fließend, also Französisch und Englisch, jetzt muss ich irgendwas damit anfangen“. Ich habe mir internationale Unternehmen in Düsseldorf angeschaut und bin schließlich im Marketing bei Nokia gelandet. Dort war ich dann beim ersten Kundenbindungsprojekt dabei. In der Zeit habe ich gemerkt, dass ich gerne studieren möchte und habe dann Medien und Kommunikation und Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf angefangen. Währenddessen habe ich die ganze Zeit weitergearbeitet und das ist eine ganz wichtige Geschichte gewesen.

Wie haben Sie die Arbeit neben dem Studium organisiert?

Heike Glasmacher: Ich habe die Stunden so gelegt, dass ich ganze Tage frei hatte zum Arbeiten. Ich habe dann einfach von Zuhause mit meinem Laptop gearbeitet. Mir war ziemlich schnell klar, dass ich auch meinen Master machen möchte und habe in dem Rahmen den Bereich Arbeitssoziologie für mich entdeckt. Von da an war mir klar, dass ich mehr in diesen arbeitswissenschaftlichen Bereich möchte. Nach dem Master wollte ich meine Dissertation schreiben. Allerdings bin ich dann Mutter geworden und hatte einfach zu wenig Zeit für ein so großes Projekt. Rückblickend ist das für mich aber nicht so dramatisch. Nach der Elternzeit bin ich in Teilzeit bei Nestlé im Marketing gelandet. 2012 las man in den Fachzeitschriften dann viel über den Fachkräftemangel und die Herausforderung, als Unternehmen attraktiv zu bleiben. Da kam dann die Idee, meine Erfahrungen in Marketing und Arbeitssoziologie zu verbinden und mich auf das Employer Branding zu spezialisieren. Und so ging es los mit HitRater.

Im Rahmen Ihres Unternehmens HitRater bieten Sie auch Selbstvermarktung für Geisteswissenschaftler und Sozialwissenschaftler an. Was ist mit Selbstvermarktung gemeint? Worauf kommt es besonders an?

Heike Glasmacher: Marketing kennt man ja eigentlich eher von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen. Es gibt allerdings auch Berufsgruppen, die sich selbst attraktiv darstellen müssen, um von den Unternehmen und Organisationen so wahrgenommen zu werden, wie es ihnen wert ist. Geisteswissenschaftler und Sozialwissenschaftler lernen während ihres Studiums viele soziale und fachliche Kompetenzen. Ich finde, dass es notwendig ist, sich da zu positionieren und nicht direkt den Stempel des Taxifahrers aufgedrückt zu bekommen. Bei der Selbstvermarktung geht es darum, sich Gedanken zu machen, welchen Mehrwert man als Geisteswissenschaftler oder Sozialwissenschaftler hat und das auch nach außen zu tragen.

Wie kann man diesen Mehrwert am besten nach außen tragen?

Heike Glasmacher: Dafür sollte man sich mit dem eigenen Lebenslauf beschäftigen und diesen auch gerne anderen Leuten zeigen oder den eigenen Werdegang Freunden und Bekannten erzählen. So findet man heraus, welchen roten Faden es gibt, der einem vorher nie so aufgefallen ist. Das hat ganz viel damit zu tun, dass man selbst immer projiziert. Andere setzen ganz andere Schwerpunkte mit ihrer Sichtweise. In Seminaren ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass viele vergessen, ihre gelernten Sprachen zu erwähnen, weil das als Muttersprachler schon so selbstverständlich ist. Deswegen ist es wichtig, von außen noch einmal beleuchten zu lassen, welche Fähigkeiten man eigentlich hat.

Warum ist die Selbstvermarktung gerade für Geisteswissenschaftler heute so wichtig?

Heike Glasmacher: Ich weiß nicht warum, aber Geisteswissenschaftler und Sozialwissenschaftler haben dieses Image des Taxifahrers. Scheinbar wird davon ausgegangen, dass sie nur Sachen lernen, die keiner gebrauchen kann. Ich finde es sehr wichtig, dass Geisteswissenschaftler und Sozialwissenschaftler immer darauf achten, was sie können und was sie gelernt haben. Eine Fähigkeit ist zum Beispiel, dass sie sehr gut Verknüpfungen herstellen können. Das kommt dadurch, dass Fächerkombinationen gewählt werden, die einer Verknüpfung bedürfen, um verschiedene Schwerpunkte zueinander finden zu können. Dazu zählt zum Beispiel die Verbindung von Politik und Kommunikation. Wir haben gesellschaftliche Themenschwerpunkte und Fähigkeiten, die anderen Studiengängen wie BWL fehlen, aber in der Zusammenarbeit im Unternehmen sehr bereichernd sind. Deshalb ist die Selbstvermarktung für uns so wichtig.

Welche Fragen muss man sich stellen, wenn man als Geisteswissenschaftler Selbstvermarktung betreiben möchte?

Heike Glasmacher: Was kann ich gut und warum kann ich das gut? Man muss direkt ein Beispiel liefern können. Wenn jemand besonders kreativ ist, sollte er dem Gegenüber verdeutlichen, woran man das festmacht. Das ist ganz wichtig. Außerdem sollte man das in kurze, knackige Sätze packen können. Zusammenfassend: Wo sind meine Stärken, wo sind meine Schwächen? Wie kann ich das mit Beispielen untermauern? Danach macht man sich eine Liste und sagt diese ein paar Mal für sich auf. So kann man daraus einen „Claim“ für sich selbst und seine Selbstvermarktung ziehen. Wenn mich jemand fragt: „Frau Glasmacher, was machen Sie denn bei HitRater?“ Dann sage ich: „Ich mache aus Unternehmen attraktive Arbeitgeber.“

Selbstvermarktung entwickelt sich aber auch immer weiter. Man muss gucken, was gut bei der Zielgruppe ankommt und was nicht. Man muss schauen, wie man den Markenkern ausarbeiten kann und in aller Kürze mit Selbstsicherheit transportiert.

Haben Sie 3-4 zentrale Aspekte zur Selbstvermarktung, auf die Sie am Ende noch verweisen möchten?

Heike Glasmacher: Mein Tipp ist, sich kritisch den eigenen Lebenslauf anzuschauen. Kritisch heißt dabei nicht negativ, sondern zu schauen, wo der rote Faden ist bzw. was inhaltlich aufeinander aufbaut. Was habe ich gelernt? Welche Fähigkeiten habe ich und welche sind besonders? Dabei sollten Beispiele nicht vergessen werden. Was habe ich erlebt, was andere nicht erlebt haben? Dazu können auch andere Dinge als das typische „Ich war ein halbes Jahr in Australien“ gehören – z.B. „Ich musste drei Jahre mein Studium pausieren, weil es einen Pflegefall in der Familie gab“. Solche Stationen gehören zum Leben dazu und sind spannend für Arbeitgeber, wenn man sich dieser bewusst ist und reflektiert durchs Leben geht. Man sollte an seinem „Claim“ arbeiten, ihn ein paar Leuten vortragen und an ihm arbeiten und herumfeilen wie an einer Abschlussarbeit, bis er einem gefällt und man am Ende des Tages 2 – 5 Sätze für sich gefunden hat. Es soll eine Abbildung von dir als Mensch sein, auch unabhängig deiner beruflichen Ziele. Üben, üben, üben. Der Begriff des Storytellings passt an dieser Stelle sehr gut. Es gibt einschneidende Erlebnisse im Leben, die einen ziemlich interessant für Arbeitgeber machen und ein Alleinstellungsmarkmal darstellen. Eine Lebensgeschichte wirkt authentisch und ist überzeugend.