„Orientierungslosigkeit lässt sich nur durch eine Orientierung im Innen lösen.“ – Interview mit Ulrike Schneeberg

Was sind das eigentlich für Gefühle, die uns bei der Berufsorientierung manchmal im Wege stehen? Wir haben mit Ulrike Schneeberg über ihr Buch „Monster zähmen“ gesprochen. In diesem erzählt sie von den inneren Monstern, eben jene schwierige Gefühle und hinderliche Glaubenssätze.

Du bist selbst Geisteswissenschaftlerin. Was hast Du studiert und wo hat es Dich beruflich hingeführt?

Ulrike Schneeberg: Ich habe Französisch und Altgriechisch, und sogar ein Jahr lang Katalanisch an der University of Cambridge studiert. Diese wilde Mischung sagt vermutlich schon einiges über meine grundsätzliche Haltung zum Leben aus: Erstmal gucken, was Spaß und Spannung verspricht und dann gucken, wie sich das zusammenbringen lässt. Nach meinem Bachelor habe ich dann noch einen Master in allgemeiner und vergleichender Literaturwissenschaft an der FU Berlin und eine Promotion (über Monster in Bilderbüchern!) in Amerikanistik an der HU Berlin gemacht. Ja, und dann habe ich wieder geguckt, was Spaß und Spannung verspricht und wie ich das zusammenbringen kann. In meinem Fall sah das so aus: Ich wollte gerne mehr über Entrepreneurship erfahren, da hat es mich richtig hingezogen. Außerdem hatte ich ein starkes Interesse für Bildungsfragen. Dann stieß ich auf einer Netzwerkveranstaltung auf eine kleine Initiative, die an Schulen mit Ideen aus dem Design Thinking bei Schüler*innen die Begeisterung für die Entwicklung eigener Geschäftsideen entfachen wollte. Bei mir entfachte das den Wunsch, da mitzumachen. Ich gewann für diese Initiative ein Beratungsstipendium von startsocial, was ziemlich cool war, und kümmerte mich dort etwa ein halbes Jahr lang um den Aufbau unserer Marketingstrategie. Parallel dazu war ich eine kurze Zeit in einem Startup für deren Influencer-Marketing verantwortlich. Beide Stationen waren sehr spannend für mich. Ich habe da viel gelernt. Meine nächste Station war dann bei einer Beratungsagentur für Organisationsentwicklung (bspw – damals Kritisches Denken für Organisationen). Seit gut eineinhalb Jahren konzentriere ich mich ganz auf mein eigenes Geschäft: deinemonster.de. Damit habe ich Spaß und Spannung auf eine für mich perfekte Weise zusammengebracht.

Du hast ein Übungs- und Unterhaltungsbuch für Geisteswissenschaftler*innen auf Jobsuche mit dem Titel „Monster zähmen“ geschrieben. Geisteswissenschaftler und Monster – wie kamst Du auf diese Verbindung und was hat diese zu bedeuten?

Ulrike Schneeberg: Eine Kollegin fragte mich auf einer Zugreise, was denn der rote Faden sei zwischen dem, was ich heute tue und dem, was ich an der Uni gemacht habe. Meine erste Antwort war: Einen roten Faden gibt es nicht. Dann überlegte ich und rief aus: Ja, klar, Monster! In meiner Doktorarbeit ging es zwar um die Konstruktion von Kindheit und Gender über die Figur des Monsters und in meiner jetzigen Arbeit geht es um unsere inneren Monster – damit meine ich schwierige Gefühle, hinderliche Glaubenssätze – aber das Bild des Monsters ist tatsächlich ein roter Faden. Naja, und die Geisteswissenschaftler*innen kenne ich einfach besonders gut aufgrund meiner akademischen Laufbahn. Da kam es mir schon oft so vor, als wären die Monster der Geisteswissenschaftler*innen besonders furchteinflößend. Ich denke auch immer noch, dass es diese Tendenz zumindest für die Phase zwischen Uni und Berufseinstieg wirklich gibt. Aber darüber hinaus habe ich inzwischen viele Menschen kennengelernt, die genauso mit echten, furchteinflößenden Monstern zu kämpfen haben und das, obwohl sie nie auch nur in die Nähe einer Geisteswissenschaft gekommen sind. Das muss man sich mal vorstellen.

Welche verschiedenen Monster gibt es?

Ulrike Schneeberg: Oh, es gibt unzählige! Sie haben die Angewohnheit, sich zu vermehren und ihre Gestalt zu ändern. Das größte Monster ist die Angst. Die Angst kann aber sehr verschiedene Formen annehmen, so dass wir gar nicht immer in der Lage sind, sie als das zu erkennen, was sie wirklich ist. Im Buddhismus gibt es die fünf Meditationshindernisse, die im Grunde auch als hinderliche Geisteszustände für ein Leben in Klarheit verstanden werden können. So wie ich das verstehe, fußt jedes dieser fünf Hindernisse auf Angst:

  1. Gier = die Angst, etwas Angenehmes zu verpassen. (Der moderne Ausdruck dafür ist fomo = fear of missing out.)
  2. Hass = die Angst, etwas Unangenehmes zu nah an sich heranzulassen.
  3. Trägheit = die Angst, einen scheinbar sicheren Zustand zu verlieren.
  4. Rastlosigkeit = die Angst, seine Zeit nicht den wirklich wichtigen Dingen zu widmen.
  5. Und zu guter Letzt der Zweifel = die Angst, nicht gut genug zu sein oder, dass jemand oder etwas nicht gut genug sei.

Unsere Monster lassen sich – trotz all ihrer Verschiedenheit – in der Regel auf eines oder mehrere dieser fünf Hindernisse hinunterbrechen.

Viele Geisteswissenschaftler sind orientierungslos und müssen häufig die Frage beantworten, was sie eigentlich mit ihrem Studium machen wollen. Hast Du einen allgemeinen Tipp für Geisteswissenschaftler, wie sie mit ihrer Orientierungslosigkeit umgehen sollten?

Ulrike Schneeberg: Ganz allgemein: Die Orientierungslosigkeit lässt sich nur durch eine Orientierung im Innen lösen. Die meisten Menschen versuchen aber, im Außen Orientierung zu finden, bevor sie im Innen überhaupt einen Anker haben. Wer innere Klarheit hat, findet es auch nicht schwierig, auf die Frage, was denn mit diesem Studium anzufangen sei, eine stimmige Antwort zu finden.

Du hast viele Interviews mit Geisteswissenschaftlern geführt. Welches davon hat Dich am meisten inspiriert und warum? Und welcher Interviewpartner hatte den ungewöhnlichsten Job?

Ulrike Schneeberg: Die ungewöhnlichste Jobbezeichnung geht an den Markensemiotiker Joel Du Bois. Er berät große Konzerne darin, wie sie ihre Markenkommunikation mit Blick auf das Design so gestalten können, dass ihre Botschaft auch bei den Kund*innen ankommt. So ungewöhnlich das erst einmal klingen mag: Für einen Literaturwissenschaftler ist der Sprung von der Semiotik in die Welt der Marken gar nicht soooo groß. Mein Preis für den ungewöhnlichsten Job für einen Geisteswissenschaftler geht deshalb an Christian Augustin, der als promovierter Germanist, ein Unternehmen mitgründete, das Radarmodule für die Bergbauindustrie produziert und verkauft. Indurad GmbH wächst und gedeiht und Christian fühlt sich nach wie vor sehr wohl dort.

Am inspirierendsten fand ich Annika und Johannes. Beide haben sich auf ihre Weise dem Druck, einer erfolgreichen, im Sinne einer gesellschaftlich anerkannten und statusgetriebenen Erwerbstätigkeit, entzogen. Annika, indem sie sich bewusst für eine Teilzeittätigkeit als Sekretärin entschieden hat, um den größten Teil ihrer Lebenszeit ihrem buddhistischen Orden zu widmen. Johannes, indem er sich entschieden hat, sich einer Gemeinschaft auf dem Land anzuschließen, wo Selbstversorgung, demokratische Schule und empathisches Miteinander den Alltag bestimmen.

In Deinem Buch nennst Du auch konkrete Übungen, um Ängsten bewusst gegenüberzutreten. Welche ist ihre Lieblingsübung?

Ulrike Schneeberg: Eine sehr verbreitete Angst ist die vor Ablehnung und Absagen. Meine Lieblingsübung dazu ist das Absagen-Sammeln. Wie genau das funktioniert, beschreibe ich auf meiner Webseite. Ergänzend und grundsätzlich empfehle ich die intensive Pflege enger Beziehungen. Zugehörigkeit und Nähe sind das, was unsere Ängste schnell wieder in eine händelbare Relation schrumpfen lässt.

Zuletzt: Welche Aufmunterung möchtest Du gerne an Geisteswissenschaftler geben?

Ulrike Schneeberg: Unangenehme Gefühle und Gedanken in Umbruchsituationen sind ganz normal! Gebt ihnen Zeit und Raum und fragt euch, was sie euch zeigen wollen. Mit dieser Haltung werden die schwierigen Gefühle zu etwas sehr Wertvollem, das echte Orientierung bieten kann. Einen wöchentlichen Mutmacher könnt ihr auf meiner Webseite abonnieren.

Foto: Matthias Francke

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